In einem Loch in der Erde, da lebte ein Hobbit…
Es gibt Dinge, die würde man in seinem Leben ganz gerne mal machen. Nichts, wofür man jetzt unbedingt einen Mord beginge, aber wenn sich die Gelegenheit böte und die Anstrengungen zur Erreichung gering genug wären, würde man nicht nein sagen. Ein klarer Fall von „Joa, warum nicht“?
Mal auf die Malediven? Klar, wenn’s ein gutes Angebot gibt, warum nicht?
Mal ein Wochenende Cabrio fahren? Klar, wenn mir jemand seine Karre ausleiht, warum nicht?
Mal ’nen Fallschirmsprung machen? Klar, wenn noch jemand mitkommt und die Kamera hält, warum nicht?
Larifari-Lebensträume und Pseudo-Must-Do’s. Frei nach dem Motto: Schön, wenn man’s mal gemacht hat. Wenn nicht, is’ auch nicht schlimm.
Und dann gibt es Dinge, die sind für einen selbst wirklich von Belang. Da würde man sich schon ärgern, wenn dereinst der Deckel über einem zufiele, ohne dass man sich diesen Traum erfüllt hat. Vorausgesetzt natürlich, man könne sich dann noch über irgendetwas ärgern.
Diese Weltreise und mit ihr der Besuch Neuseelands zählen für mich ganz klar zu Letzteren.
Die Sehnsucht nach dem kleinen Land im Südpazifik flammte so richtig auf, als ich an einem kalten Winterabend im Jahr 2001 aus dem Kino kam. Unwissend und ohne Kenntnis der zugrundeliegenden Literatur hat mich der zuvor gesehene erste Teil der Herr der Ringe-Trilogie schlichtweg aus den Socken gehauen. Nicht nur, weil ich seit jeher ein Faible für Fantasy habe. Besonders die beeindruckende Kulisse Neuseelands war es, in die ich mich unweigerlich verguckt hatte. Neben den epischen Kamerafahrten über verschneite Bergkuppen und endlose Weiten blieben mir natürlich die immergrünen Wiesen des lieblichen Auenlands im Gedächtnis.
Auch Jahre später hat die Geschichte des Ringkriegs für mich nichts von seiner Faszination verloren, vielmehr noch wurde die alte Liebe durch die Verfilmung des Hobbits erneut so richtig angeheizt. Verenas Erzählungen von ihrem neunmonatigen Aufenthalt am anderen Ende der Welt taten ihr Übriges, dass die Vorfreude alles andere als kleiner wurde. Mir war klar: Diese Kulisse will ich selbst einmal mit eigenen Augen sehen.
Dieser Traum sollte sich nun endlich erfüllen.
Warum in die Ferne schweifen…
Die Filme rund um Mittelerde wurden von Regisseur Peter Jackson nahezu ausnahmslos in dessen Heimatland Neuseeland gedreht. Unsere bereits über sechs Wochen andauernde Tour durch dieses Land bestätigt, was Bilder und Videos im Vorfeld versprachen: Die beiden Inselteile bieten alles, was eine authentische Fantasy-Landschaft ausmacht — und das auf vergleichsweise engstem Raum. Gewaltige Bergmassive, kristallklare Seen, unendlich scheinende Felder, liebliches Grün:
New Zealand got it all.
Die Kulissen, die von Menschenhand hinzugefügt und Anfang des Jahrtausends zum Dreh des Herrn der Ringe mühevoll errichtet wurden, überdauerten die Zeit nicht und wurden rasch wieder entfernt. Das Set des Auenlands beispielsweise, welches auf privatem Land eines Farmers im beschaulichen Örtchen Matamata gelegen ist, konnte zwar in den Jahren danach mittels geführter Touren besucht werden — allerdings hat man da nicht viel zu sehen bekommen. Verena war damals schon einmal hier und berichtet von zwar durchaus schönen Wiesen, Feldern und einer provisorisch aufgebauten Hobbit-Höhle, doch das war’s auch schon.
Aus touristischer Sicht war man beim zweiten Anlauf und den Dreharbeiten zum Hobbit schlauer: So wurde besagtes Auenland diesmal nicht dem Erdboden gleichgemacht, sondern bewahrt, ausgebaut und den Besuchern als Blick hinter die Kulissen zugänglich gemacht. In zweistündigen Touren führen Guides durch das originale Set, gewähren zahlreiche Einblicke ins Filmemachen und geben lustige Anekdoten zu den Dreharbeiten zum Besten.
Die Ausflüge starten wahlweise vom nahen Rotorua, dem Stadtkern von Matamata oder direkt am „Hobbiton Movie Set“. Die Aufregung ist groß und so buchen wir die Tour direkt am Morgen um kurz vor 9 Uhr. Ich gestehe: So energisch kam ich auf unserer Reise selten aus dem Bett. Eine gute Stunde zu früh treffen wir am Filmset ein, holen uns im passend bezeichneten „Shire’s Rest“ einen Kaffee und vertreiben uns die Zeit im angrenzenden Merchandise Shop.
Hier werfen lizenzierte Produkte aus dem Tolkien-Universum ihre gierigen Arme nach den Besuchern aus: Von Herr der Ringe-Puzzeln über Hobbit-Hausschuhe bis hin zu originalgetreuen Repliken von Thorins Pfeife findet der geneigte Fan viel Tand, aber auch so manches, dass das ohnehin schon wild pochende Fantasy-Herz höher schlagen lässt. Zu entsprechenden Preisen, versteht sich: Angesprochene Pfeife zum Beispiel kostet mal eben schlappe 149 NZ-Dollar.
Das Ticket für die Tour ist dagegen geradezu günstig, den Einlassschein kaufen wir zu 79 NZ-Dollar pro Person bereits am Tag zuvor und stehen damit pünktlich um 8:50 Uhr am Treffpunkt, von dem aus der Bus in Richtung Filmset ablegt. Die Fahrt dauert rund 15 Minuten, in denen wir einen kurzen Begrüßungsfilm von Peter Jackson zu sehen und einige Instruktionen zum Verhalten auf dem Gelände zu hören bekommen.
Und dann, endlich, sind wir da.
Auf den Spuren von Bilbo, Frodo, Sam und Co.
Wieder einmal merke ich, dass Multitasking zwar schon irgendwie geht, aber im Grunde keinen Spaß macht. Auf der einen Seite möchte ich zu gerne den Ausführungen unseres Guides Bethany lauschen, die interessante und witzige Hintergrundinfos zu Hobbingen und den Filmen zu erzählen weiß. Und auf der anderen Seite juckt mein rechter Zeigefinger unaufhörlich und fordert mich dazu auf, in alle Richtungen Fotos zu schießen. Letztlich verlege ich mich auf den goldenen Mittelweg und höre mit einem Ohr zu, während ich ansonsten die Umgebung in mich einsauge, immer bemüht, bloß kein Fotomotiv zu verpassen.
An dieser Stelle sei übrigens erwähnt, dass ich zwar durchaus der „Freak“ unserer kleinen Reisegruppe bin, was tolkien’sche Fantasy angeht, doch bereitet dieser Ausflug nicht nur mir große Freude: Verena, Steffen und Romy sind nicht minder begeistert und knipsen und staunen, was das Zeug hält. Denn, auch das lernen wir: Man muss gar kein beinharter Mittelerde-Fan sein, um an Hobbingen Gefallen zu finden. So haben rund 30 Prozent aller Besucher weder die Filme gesehen noch die Bücher gelesen. Sie erfreuen sich einfach an der Szenerie und den neidischen Gesichtern der darbenden Freunde zuhause beim Anblick der mitgebrachten Bilder.
Wir schlendern über sattgrüne Hügel vorbei an Hobbit-Höhlen (die übrigens Smials genannt werden) mit ihren charakteristischen runden Türen und sind beeindruckt von der grenzenlosen Liebe zum Detail, mit der die Filmemacher und allen voran Peter Jackson hier zu Werke gegangen sind. So erfahren wir beispielsweise, dass dieser unbedingt eine Szene gedreht haben wollte, in der Hobbit-Kinder unter einem Pappelbaum sitzen, weil dies im Buch so beschrieben steht. Das Problem: In Neuseeland wachsen keine Pappeln, weswegen man den Baum kurzerhand aus Asien einflog. Wie lange dieser im fertigen Film zu sehen ist? Knappe 5 Sekunden, allerdings nur, wenn man die Extented Edition von „Die Rückkehr des Königs“ eingelegt hat und seinen Blick vom eigentlichen Hauptmotiv der Szene zur Seite verlegt.
Eine andere Geschichte — abermals steht ein Baum im Mittelpunkt — erzählt davon, dass „PJ“ mit dessen Anzahl Blätter und deren Farbe nicht zufrieden war. In akribischer Handarbeit wurden daher rund 2.000 lose, künstliche Blätter bemalt und mittels Drähten am kahlen Geäst befestigt — eine botanische Haarverlängerung, wenn man so will. Viele viele Arbeitsstunden später war die Pflanze filmreif bestückt und präpariert — doch dem perfektionistischen Regisseur mochte das Grün noch immer nicht so recht gefallen, weswegen jedes einzelne Blatt erneut mit Farbe besprüht werden musste.
Diese Penibilität ist es, welche die Mittelerde-Trilogien so einzigartig macht und die an jeder Ecke des Filmsets greifbar ist. Kleine Schubkarren stehen vor aufgestapeltem Brennholz, Miniatur-Kleidung hängt an Wäscheleinen und gedeckte Tische erwecken den Eindruck, als ob hier vor Kurzem das zweite Frühstück eingenommen wurde.
Als Liebhaber bekommen wir das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht — erst recht nicht, als wir endlich vor DEM Smial überhaupt stehen: Beutelsend. Für die Unkundigen: Das ist das Heim von Bilbo Beutlin, von dem aus selbiger und später dann Frodo auf große Fahrt gehen. Kenner des Films werden sich spätestens beim Anblick des Schilds an der Zauntür erinnern:
Wir streifen weiter durch Hobbingen, vorbei an der alten Mühle und dem Festbaum, rüber über die steinerne Brücke und geradewegs auf den Grünen Drachen zu.
Moment, Grüner Drachen? Genau! Die Stammkneipe der Hobbits dient den Touren durch’s Filmset als passender Endpunkt, in dem wir uns wahlweise bei einem leckeren Ale, Apfelwein oder Ingwerbier stärken…
… und die Füße gemütlich in Richtung Kamin ausstrecken.
Eine viel zu kurze halbe Stunde später folgt dann auch schon das, was unweigerlich kommend musste: Leider, leider, leider geht auch die schönste Tour irgendwann zu Ende. Ein letztes Mal lassen wir die tolle Szenerie auf uns wirken, bevor wir notgedrungen und gaaanz langsamen Schrittes in Richtung Bus trotten.
Den Kopf nach hinten auf die Stütze gelehnt, blicken wir aus dem Fenster und fahren in Gedanken versunken und mit einem Lächeln auf den Lippen zurück zum Shire’s Rest. Jetzt verstehen wir noch ein kleines bisschen besser, weshalb die Hobbits ihr geliebtes Auenland in Film und Buch so sehr vermissen und es nicht erwarten können, so schnell wie möglich wieder an diesen Ort zurückzukehren.
In diesem Moment sind auch wir ein bisschen Hobbit.
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