Ich hatte nie ein besonderes Problem mit dem Fliegen. So lange ich nicht aus dem Fenster sehen muss und sich das Auf und Ab in Grenzen hält, ist alles dufte. Desto länger wir jedoch unterwegs sind und desto häufiger wir fliegen, desto größer wird meine Abneigung. Die Aussicht auf den bevorstehenden Flug nach Aitutaki in einer kleinen Propellermaschine, so kurz er auch sein möge, versetzt mich daher nicht unbedingt in Jubelstimmung.
Die Aussichten bessern sich nicht, als wir erfahren, dass wir auf eine andere Maschine umgelegt werden, eine NOCH kleinere, die ein paar Minuten später eintreffen wird. Bilder schießen uns durch den Kopf von klapprigen alten Fliegern mit verrosteten Tragflächen, nur einer Sitzreihe und einem altersschwach vor sich hin hustenden Motor. Kurze Zeit später setzt unser Gefährt zur Landung an und wir sind halbwegs beruhigt: Von außen macht es einen stabilen Eindruck und auch die aussteigenden Gäste schauen nicht danach aus, als hätten sie die letzten 50 Minuten in Todesangst verbracht.
Wir steigen ein und arbeiten uns in gebückter Haltung zu unseren Sitzplätzen im hinteren Teil des Fliegers vor. Hinterer Teil bedeutet hier: Reihe 6 von ingesamt 7, je ein Platz pro Seite, dazwischen der Mittelgang. So weit, so gut.
Kurz darauf streckt der Kapitän den Kopf durch die Tür zum Cockpit, begrüßt uns und die circa 12 Mitreisenden und bereitet uns darauf vor, der Flug würde aufgrund des Wetters „ein wenig holprig“ werden. Verena und ich schauen uns mit weit aufgerissenen Augen an und ich fühle mich wie kurz vor dem Start einer bevorstehenden Achterbahnfahrt mit Dreifach-Looping. Den Blick stur auf den Gang gerichtet, hebt die Maschine ab, fliegt eine Kurve und gewinnt zunehmend an Höhe. So fliegen wir vor uns hin und gerade als ich anfange, mich etwas zu entspannen, geraten wir in ein Luftloch. Und noch eins. Und dann noch eins. Die Maschine wird ordentlich durchgeschüttelt und zu allem Überfluss geht irgendwann auch noch das Licht in der Kabine aus und wir sitzen im Dunkeln.
Zum Glück ist der holprige Teil bald überstanden und wir erreichen nach ewig scheinenden 50 Minuten das abendliche Aitutaki. Verena hat uns hier eine Unterkunft gefunden, die laut Angaben im Internet erst im Februar 2017 Eröffnung gefeiert hat und so freuen wir uns, zu den ersten Gästen zu gehören. Per E-Mail vereinbarten wir mit Manager Paul die Abholung am Flughafen und tatsächlich, beim Reinlaufen in die Wartehalle werden wir von einem — auf den ersten Blick etwas schmuddelig aussehenden — Maori empfangen, der uns bedeutungsschwanger verkündet, er müsse uns etwas mitteilen. Ohje, was kommt jetzt?
Unsere Unterkunft, also, die sei noch nicht fertig, morgen wäre jedoch große Einweihung und übermorgen könnten wir auch schon einziehen, bis dahin werden wir in einem anderen Hotel untergebracht. Wo wir kurz zuvor noch geunkt haben, am Ende eine halbfertige Hütte mit Baustellenschild vorzufinden, schien die Realität plötzlich gar nicht soweit davon entfernt. Außerdem gehören wir nicht zu den ersten Gästen, wir SIND die ersten Gäste überhaupt. Das wiederum finden wir ziemlich cool.
Wir schauen uns zunächst stirnrunzelnd an und rechnen insgeheim schon damit, in einer abgewetzten Bretterbude die Nacht zu verbringen. Kurze Zeit später werden unsere Bedenken zerstreut: Nach einer kurzen Fahrt über die nächtliche Insel halten wir am „Aitutaki Village“, das bereits in der Dunkelheit einen guten Eindruck macht. Wir werden äußerst herzlich empfangen und sogar die Küche bleibt extra länger geöffnet, um uns nach dem Flug noch ein Abendessen anzubieten.
Egal mit wem wir uns unterhalten, immer wieder werden wir auf die bevorstehende Hotel-Eröffnung angesprochen und uns wird klar, dass das hier auf der kleinen Insel wohl DAS Highlight schlechthin sein muss. Der Umstand, dass wir die allerersten und zunächst auch einzigen Gäste sein werden, verleiht uns eine Popularität, die wir schmunzelnd annehmen. Neugierig, wie so ein Opening eines Hotels in der Südsee wohl vonstatten geht, fallen wir ins Bett.
Eine Insel in Aufruhr: Grand Opening des Kuru Clubs
Bei Tageslicht gefällt uns unsere Behelfsunterkunft gleich noch besser. Von den holzvertäfelten Bungalows sind es nur wenige Schritte zur Lagune, die uns einen Blick eröffnet, wie wir ihn uns von der Südsee vorgestellt haben:
Die große Eröffnung des Kuru Clubs steigt um fünf am Abend, zuvor genießen wir ein wenig die Aussicht und wandern auf Sandbänken übers flache Wasser.
Nach guter deutscher Sitte treffen wir kurz vor fünf am neuen Hotel ein, wo sich bereits eine Traube herausgeputzter Menschen versammelt hat. Unter Pavillons stehen hübsch eingedeckte Tische, weiter hinten spielt eine Zwei-Mann-Band schwungvolle Südsee-Musik, während es sich die wartende Gesellschaft auf herangetragenen Plastikstühlen bequem macht. Unter den anpackenden Menschen erspähen wir Bobbie, der uns vergangene Nacht am Flughafen abgeholt hat und das Kuru als Manager vor Ort betreuen wird — ohne jemals mit der Materie zu tun gehabt zu haben, wie er uns gesteht. Als er uns sieht, lässt er alles stehen und liegen, kommt auf uns zu und begrüßt Verena erst mal mit einem beherzten Kuss auf die Wange. Wir besorgen uns Sitzgelegenheiten und betrachten das muntere Treiben. Tatsächlich sind wir ganz offensichtlich die einzigen Nicht-Maori und ernten hier und da neugierige Blicke freundlicher Gesichter. Es scheint sich bereits herumgesprochen zu haben, dass wir die ersten Gäste des Kuru sind.
Kurz darauf beginnt der offizielle Teil der Veranstaltung und wir suchen uns an den langen Tischen ein freies Plätzchen. Die Ansprachen werden auf Rarotonganisch gehalten, wir verstehen also nichts und verlegen uns darauf, immer dann zu klatschen, wenn die anderen es auch tun. Neben den Hotelbetreibern gibt auch der Premierminister der Cooks ein Stelldichein und wir merken erneut, wie wichtig den Menschen hier der nächste Schritt hin zu einer blühenden Zukunft im Tourismus ist. Ein Mann mit Kamera filmt uns in Nahaufnahme und ich vermute mal, wir waren kurz darauf im Regional-TV der Cook-Inseln zu sehen.
Die Reden werden immer wieder durch kurze Gebete unterbrochen, was uns nicht verwundert: Schon bei der Fahrt über die kleine Insel fielen uns die unverhältnismäßig vielen Kirchen auf. Die Stimmung unter den Gästen und den Sprechern ist toll, es wird gewitzelt und gelacht und die Herzlichkeit, die ich an anderer Stelle schon ansprach, wird hier überdeutlich und wirkt extrem ansteckend. Nach anfänglicher Zurückhaltung kommen wir immer wieder mit unseren Nebensitzern ins Gespräch, die alle ganz entzückt scheinen, uns hier als Gäste willkommen heißen zu dürfen.
Nach einem ausgedehnten Abendessen (das reichhaltiges Buffet bietet von Fisch über Fleisch bis hin zu Salaten und traumhaftem Dessert alles, was man sich nur wünschen kann) und einigen maorischen Tanzdarbietungen ziehen wir uns in unsere Ausweichunterkunft zurück und können es kaum erwarten, am Folgetag unser nigelnagelneues Zimmer im Kuru zu beziehen.
Umzug und Ausfahrt über die Insel
Gegen Nachmittag des Folgetags hieven wir unsere Koffer in die jungfräuliche Bleibe und fühlen uns auf Anhieb wohl:
Wir verstauen unsere Sachen, leihen uns einen Roller und erkunden die Insel auf eigene Faust. Zwar ist Aitutaki gefühlt weitläufiger als Rarotonga, doch schon bald haben wir alle Straßen einmal abgefahren. Umso länger wir hier sind, desto mehr schalten wir auf „Insel-Mode“. Die Tage fließen ineinander über, wir liegen am hauseigenen Pool, gehen im auserkorenen Lieblings-Café zu Mittag essen oder liegen auch nur einfach mal in der Sonne und lesen. Beim Einkaufen werden wir mittlerweile erkannt und auf den Straßen nickt man sich freundlich zu. Hier fällt es wirklich schwer, nicht total abzuschalten.
Als ob wir daran gehindert werden sollten, völlig im Müßiggang zu versinken, erhalten wir dann aber doch noch einen kleinen Adrenalinschub.
Das Ungeheuer aus der Tiefe
So begibt es sich, dass wir eines Abends nach Hause kommen und Verena in Richtung Bad verschwindet. Kurz darauf höre ich einen gellenden Schrei und Verena kommt armefuchtelnd in den Raum gerannt. Auf meine Frage, was denn passiert sei, piepst sie nur: „Krebs“. Etwas ungläubig betrete ich das Bad und tatsächlich, als ich den Klodeckel anhebe, sitzt im Wasser oberhalb des Abflusslochs ein fetter, roter Krebs! Mehrmaliges Spülen beeindruckt ihn überhaupt nicht, doch bevor wir eine Idee haben, wie wir den Eindringling aus der Schüssel und dem Zimmer bekommen, ist er auch schon in den Tiefen des Abflusses verschwunden und zum Glück nicht wieder aufgetaucht.
Abgesehen davon verleben wir entspannte Tage auf Aitutaki und die Zeit vergeht wie immer viel zu schnell. Konnte die kleine Insel den Erwartungen also gerecht werden, die wir nach dem ernüchternden Rarotonga an sie gestellt hatten? Absolut. Hier sieht die Südsee so aus, wie man sie sich gemeinhin vorstellt, wie die Bilder eindrucksvoll beweisen. Für den letzten verbleibenden Tag planen wir noch einen eigentlich unabdingbaren Lagoon Cruise ein, doch leider wird dieser aufgrund des unsteten Wetters abgesagt. Für uns nur ein weiterer Grund, irgendwann einmal wieder zu kommen.
So packen wir etwas wehmütig unsere Sachen und brechen auf zum langen Flug, der uns von Rarotonga aus einmal quer über den Südpazifik bis nach Los Angeles führen wird. Von hier aus werden wir unseren Roadtrip durch den Südwesten der USA starten — und damit schweren Herzens den letzten Teil unserer Weltreise antreten.
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